„Hat die CDU ein Rhetorik-Problem?“, hat die FAZ einen Artikel überschrieben, in dem es um die Aussage von Außenminister Wadephul bei einem Besuch in einem zerstörten Vorort von Damaskus geht: „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“
Das sieht Stephan Mayer von der CSU in der Sendung von Sandra Maischberger anders. Er hat ein anderes Stadtbild Kopf und sagt: „Würden Sie einer jungen Frau empfehlen, allein ab 22 Uhr in die Berliner S-Bahn zu steigen?“
Mit Britta Haßelmann würde ich sagen: Er hat kein Rhetorik-Problem, er hat ein Empathie-Problem! Wadephul war in Syrien vor Ort und hat seine Eindrücke kommentiert. Stephan Mayer sitzt dagegen in einer Talkshow in seinem Sessel und denkt über sein Stadtbild nach. Zwischen den Aussagen von Wadephul und Mayer gibt es einen offenkundigen Unterschied, den man umso besser versteht, wenn man sich vor Augen führt, wie Sprache und das Bild, das sich vermittelt, zusammenhängen.
Wenn wir miteinander oder übereinander sprechen, hat die Sprache, so schreibt Paul Watzlawick, sowohl einen Inhalts- als auch einen Beziehungsaspekt. Wenn wir zu jemandem sagen: „Ich liebe dich!“, so hat diese Aussage zwei Seiten: einen Inhaltsaspekt (die Liebe) und einen Beziehungsaspekt (ich – dich). Die Frage ist dann, in welchem Verhältnis die beiden Seiten zueinander stehen: Geht die Liebe der Beziehung voraus oder geht sie aus der Beziehung hervor?
Wenn wir ein Foto von einem Menschen sehen, geht die sinnstiftende Funktion zunächst von uns, also der betrachtenden Person aus: Wir bringen unsere Eindrücke mit den Gefühlen in einen Zusammenhang, die das Bild in uns auslöst. Wenn wir uns auf diese Weise ein Bild von einer Situation oder einem anderen Menschen machen – das ist auch experimentell nachgewiesen – kommen wir in Sekundenbruchteilen zu einem dezidierten Urteil. Wohlgemerkt, bevor wir den anderen Menschen kennengelernt oder uns der Situation zugewendet haben. Das ändert sich erst, wenn wir in eine Beziehung zu ihm oder seiner Umgebung gelangen.
Wenn Wadephul in Syrien in einer zerstörten Umgebung steht, kommentiert er sie nicht aus der Ferne und hat damit eine andere Perspektive als Stephan Mayer, der im Fernsehstudio Weisheiten von sich gibt. Der hat nicht den konkreten Menschen oder die konkrete Situation vor Augen.
Das Bild, von dem Mayer spricht, befindet sich in seinem Kopf.
Und das ist im Zweifelsfall das Bild von einem „ausländischen Gefährder“, der ab 22 Uhr in der Berliner S-Bahn sitzt und „abgeschoben“ gehört.
Und dann merkt man: Sprache bildet Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern sie erzeugt sie.
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