Blindspots

BILDER VON DINGEN, DIE ES EIGENTLICH NICHT GIBT.
Dinge, die verborgen sind und die man deswegen nicht sehen kann, sind blind. Daher gibt es „blind spots“, blinde Flecken, durch die Teile unseres Selbst unserer Wahrnehmung entzogen sind. Blinde Flecken sind wie Klippen unter einer Wasseroberfläche: Sie sind da, aber wir sehen sie nicht.

Umgekehrt gibt es Dinge, die wir sehen, obwohl es sie eigentlich nicht gibt. Wolken sind so etwas. Joseph Vogl schreibt in seiner Wolkenbotschaft: „Die Wolke ist ein Entstehen und Vergehen, die Wolke ist also kein Gegenstand, sondern ein Werden; die Wolke ist – und das scheint ihre entscheidende Bestimmung zu sein – ein Ereignis.“

Wer etwas darüber herausfinden will, wie blinde Flecken entstehen, kann sich mit Wolkendarstellungen beschäftigen. Wer Wolken grafisch darstellen will oder Wolkendarstellungen ansieht, bewegt sich mit seiner Wahrnehmung zwischen dem Bestimmten und dem Flüchtigen und ist dabei fortwährend mit den blinden Flecken seiner Wahrnehmung konfrontiert.

Wolken sind keine Steine, die für die Ewigkeit gemacht sind. Steinen ist egal, ob es stürmt oder regnet oder die Sonne scheint. Sie scheren sich nicht um das, was um sie herum passiert. Wolken sind flüchtig und luftig. Sie passen sich an ihre Umgebung an und sind in einem ständigen Austausch mit ihr. Das stimmt nicht nur für die Wolken am Himmel, das gilt auch für jene auf der Leinwand oder dem Zeichenpapier.

In der Geschichte der Kunst galten Wolken lange Zeit als „unmalbar“. Wer es trotzdem macht, hält sich im Unbestimmten auf und versucht das Unbestimmte in etwas Bestimmtes zu überführen. Er versucht aus dem Flüchtigen etwas Bleibendes zu machen. Wenn es ihm gelingt, ist das Bleibende etwas Flüchtiges. Wer daher Wolken zu Papier bringen will oder sich graphische Darstellungen von Wolken ansieht, hält sich in einem Paradoxon auf.

Die Wolken, die in den hier versammelten Grafiken zu sehen sind, gibt es nur am Himmel oder in dem Kopf der*s Betrachter*in. Auf dem Zeichenpapier lösen sie sich auf in Striche, Flächen, Schattierungen, Verdichtungen, Brüche oder Übergänge. Wer sich die Grafiken anschaut, bewegt sich in einem Antagonismus von Medium und Botschaft. Sobald die Wolken in den Vordergrund der Wahrnehmung treten, verschwindet das Medium aus dem Bewusstsein und sobald das Medium in den Vordergrund tritt, verschwindet seine Bedeutung. Die Wahrnehmung wird an jene Stelle geführt, an denen Bedeutungen entstehen und gleichzeitig in Frage gestellt werden. Wenn wir sagen: „Das ist eine Wolke“ verfehlen wir das Ungefähre und Flüchtige, das sich in der Grafik in einer Ansammlung von Strichen und Schattierungen verwirklicht und das eine Wolke ausmacht. Ohne die Wolke aber mit einem Begriff zu bezeichnen, der das Unbestimmte in etwas Bestimmtes überführt, würden wir selber im Ungefähren und Flüchtigen untergehen. Das ist die Geburtsstunde des blinden Flecks.

Wolkenbilder l

Graphit und Tusche auf Büttenkarton, jeweils 61x46 cm, 2023

Wolkenbilder ll

Graphit und Tusche auf Büttenkarton, jeweils 46x61 cm, 2023

Wolkenbilder lll

Graphit und Tusche auf Büttenkarton, jeweils 100x80 cm, 2023

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