
Alle sprechen von Aufrüstung, Sondervermögen, Lockerung der Schuldenbremse. Die FAZ titelt: „Deutschland ist zurück aus dem Fronturlaub“. Ehrlich gesagt: Darauf könnte ich verzichten!
Gut: Es geht um die Verteidigung unserer Freiheit. Der Menschenrechte. Dazu gehört allerdings auch das fundamentale Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und das ist an der Front nicht zu haben. Das führt in eine moralische Zwickmühle.
Es gibt in der Philosophie zahlreiche Gedankenexperimente, die sich mit dieser moralischen Zwickmühle beschäftigen. In dem berühmten Gedankenexperiment „The Trolley Problem“ über eine außer Kontrolle geratene Straßenbahn muss man sich entscheiden, einen Menschen zu töten, um fünf andere zu retten, oder fünf Menschen kommen zu Tode, weil man es nicht verantworten will, einen anderen zu töten. Egal, wie man sich entscheidet, man verletzt das Recht auf körperliche Unversehrtheit und damit ein fundamentales Menschenrecht.
Die militärische Verteidigung der staatlichen Souveränität, die durch das staatliche Gewaltmonopol ausgeübt werden kann, gilt als ein Recht, das Staaten durch die Charta der Vereinten Nationen zugebilligt wird. Das Recht zur Selbstverteidigung ist in Artikel 51 der Charta verankert und ist eine Ausnahme des in Artikel 2 Nr. 4 festgelegten Gewaltverbots. Das löst aber nicht das damit verbundene moralische Dilemma.
Alle Soldat*innen, die an einem militärischen Konflikt beteiligt sind, tun das unter den Bedingungen des in diesem Land geltenden Rechts. In der Regel unterliegen sie den Bedingungen von Befehl und Gehorsam. Diejenigen, die keine anderen Menschen töten wollen, müssten den Kriegsdienst verweigern oder desertieren. Und dafür kommen sie in der Regel ins Gefängnis. Und das ist in doppelter Hinsicht eine Verletzung grundlegender Menschenrechte.
Menschenrechte verteidigen wir da, wo wir Minderheiten schützen und die Würde und die Integrität jedes einzelnen Menschen respektieren. An der Front verletzen wir sie. Wenn man so will, verteidigen wir Menschenrechte, indem wir sie verletzen.
Wenn wir also über die militärische Verteidigung unserer Freiheit sprechen, muss auch klar sein, zu welchem Preis und unter welchen Bedingungen wir das tun. Vielleicht haben wir keine Wahl. Das weiß ich nicht.
Aber wir müssen wissen, was wir tun. Ich kann jedenfalls nicht in den allgemeinen Jubel über die militärische Aufrüstung einstimmen. Mir wär lieber, wir blieben im Fronturlaub.
Abbildung: Francisco Goya. Die Schrecken des Krieges. Para eso habeis nacido (Das ist, wofür ihr geboren wurdet), pl. 12 aus der Serie Los desastres de la guerra (Die Schrecken des Krieges)