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Peter Sinapius

Die Macht der Bilder

Was ist hier los?

Trump wird angeschossen und unmittelbar danach erscheint ein scheinbar sorgfältig komponiertes Foto im Netz: Trump erhebt sich aus dem Umfeld der ihn umgebenden Menschen und ballt die Faust gegen den blauen Himmel, vor dem die amerikanische Flagge weht. Das Bild wirkt so, als ziehe er in den Kampf. In Wirklichkeit ist er gerade einem Attentat entkommen.

Das Motiv, das dabei mobilisiert wird, ist in unserem kulturellen Gedächtnis verankert. Es hat seinen Ursprung in einem Gemälde, das Eugène Delacroix vor 225 Jahren unter dem Titel „Die Freiheit führt das Volk“ gemalt hat. Auf dem pyramidal angeordneten Bild ist eine Frau als Sinnbild der Revolution zu sehen, die mit ihrem Arm die französische Fahne gegen den Himmel streckt.

Das Gemälde gilt als Bild der Revolution schlechthin und lässt sich deshalb, so wird seine Bedeutung interpretiert, leicht aus dem historischen Kontext herauslösen und auf jeden anderen Anlass übertragen.

Es gibt aber dennoch einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Foto von Trump und dem Original: Das Foto von Trump ist im Unterschied zu dem Gemälde von Delacroix nicht Dokument eines Freiheitskampfes, sondern seine Inszenierung. Und bei dieser Inszenierung geht es um die Mobilisierung der Massen für demokratiefeindliche Ziele, auf denen populistische Bewegungen und auch moderne autokratische Gesellschaften beruhen.

Damit solche Bilder aber funktionieren, müssen die politischen Koordinaten verschoben werden. Aus einer demokratisch gewählten Regierung und einer freien Presse werden eine „korrupte Elite“ oder ein „politisches Establishment“ gemacht, die sich gegen das Volk richten und der Trump den Kampf angesagt hat.

Und da er sich unter dem Slogan „America first“ als der wahre Repräsentant der Interessen des Volkes versteht, hat das Attentat in Wirklichkeit nicht Trump, sondern dem Volk gegolten: „Trump literally took a bullet for you“, hieß es entsprechend in den ersten Posts.

Dann aber fällt mir auch auf, dass die Selbstdarstellung Trumps auf dem Foto etwas extrem Selbstgefälliges und Eitles hat, das seine beabsichtigte Wirkung unterläuft. Ein Freiheitskämpfer setzt nicht sich selbst, sondern seine Sache in Szene.

Ich denke an Goya, der es in seinen Gemälden meisterhaft verstanden hat, die Eitelkeiten der herrschenden spanischen Königsfamilie darzustellen. Damit hat er Kunstgeschichte geschrieben. Und an dieser Lesart möchte ich mir auch beim Anblick von Trump nach einem gescheiterten Attentat ein Beispiel nehmen.

Ich vermute, dass nicht nur Bilder, sondern auch unsere Sicht auf diese Bilder die Welt verändern könnte.

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