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Peter Sinapius

Entkleidet bis zur Menschlichkeit

Man stelle sich eine große Bühne vor. Darauf stehen im Halbkreis 15 Stühle. Auf den Stühlen sitzen als orthodoxe Juden gekleidete Tänzer*innen. Die führen einen Stuhltanz auf zu den 13 Strophen eines jüdischen Sammellieds, das traditionell zum Pessach-Fest gesungen wird und ihrem jüdischen Glauben gewidmet ist. Sie springen auf und entledigen sich ihrer Hüte. In der Mitte des Lieds beginnen sie mit jeder weiteren Strophe sich ein weiteres Kleidungsstück vom Leib zu reißen. Am Ende stehen sie fast nackt da und schreien «Echad mi Yodea» (Wer weiss?) dem Publikum entgegen.

Das war im Staatsballett Berlin vor ein paar Wochen. Das Stück hat der Choreograf Ohad Naharin bereits 2016 für die Batsheva Dance Company entworfen, ein weltberühmtes Ensemble für zeitgenössischen Tanz in Israel. Und das Stück ist aktueller denn je.

Was ist passiert? Orthodoxe jüdische Männer tragen üblicherweise lange Hosen, bis zu den Ellenbogen reichende Hemden und eine Kopfbedeckung. Davon trennen sich aber die Tänzer*innen mit jeder Strophe, stehen am Ende fast nackt als verletzliche Menschen da und feiern so mit dem Lied die Befreiung eines Volkes aus der Sklaverei.

Das Bild, das ich beim Zuschauen gewinne, ist der Politik der reaktionären Regierung in Tel Aviv diametral entgegengesetzt. Ihr geht es nicht um Menschlichkeit. Sie begeht, so nennt es Amnesty International, einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen.

Ich höre schon den Einwand: Aber die Terroristen der Hamas haben die Menschen in Israel genau da getroffen, wo sie verletzlich sind. Das stimmt! Ich behaupte aber: Das interessiert den korrupten Netanjahu überhaupt nicht. Für den ist das Ganze ein Poker um die Macht, den er sich mit Tausenden von unschuldigen Opfern bezahlen lässt.

Was macht also die israelische Regierung? Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich droht der Batsheva Dance Company jegliche staatliche Unterstützung zu streichen — nachdem sie unter Dutzenden anderer Nationalfahnen auch die palästinensische Fahne auf der Bühne gezeigt hatte.

Derweil bombt die israelische Regierung im Gazastreifen weiter und rückt auch noch in Syrien ein. Ungeachtet der israelischen Geiseln und auch ungeachtet tausender ziviler Opfer. Kritiker im eigenen Land werden mundtot gemacht und die Unabhängigkeit der Justiz wird angegriffen. Zu einer Konferenz gegen Antisemitismus lädt Israels Regierung ausdrücklich Vertreter der europäischen extremen Rechten ein.

Und schließlich will Netanjahu am Mittwoch auch noch nach Ungarn reisen. Den internationalen Haftbefehl gegen ihn will Viktor Orbán einfach ignorieren.

Wahrscheinlich denkt sich Netanjahu: Mit solchen Freunden kann ich das alles machen. Ich habe ja auch noch den Trump auf meiner Seite.

Die Rechten spielen mit dem Feuer und die Welt sieht zu! Ich hoffe, Netanjahu hat sich verrechnet.

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