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Peter Sinapius

Kollektive Bestrafung

Immer, wenn in Gaza Bomben niedergehen, wenn sogar Sanitäter getroffen werden oder wenn Menschen an Verteilstellen erschossen werden, frage ich mich, wer eigentlich den Finger am Abzug hatte. Das sind ja Menschen, die auf Menschen schießen.

Meistens heißt es dann, die militärischen Angriffe habe Terroristen gegolten, die die Bevölkerung als Schutzschilde benutzen würden. Und gegen Terroristen müsse man erbarmungslos vorgehen: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend“, hatte der israelische Verteidigungsminister Galant nach dem Terroranschlag der Hamas gesagt. Und weil, wie das Magazin „Israel Heute“ vor zwei Tagen behauptet, „ein großer Teil der Bevölkerung des Gazastreifens eine terroristische Organisation unterstützt“, sind die Grenzen zwischen der palästinensischen Bevölkerung und Terroristen offenbar fließend.

Die Entmenschlichung ist Teil des „Othering“, des Ausschlusses von Menschen aus der menschlichen Gemeinschaft, durch das sie zu Freiwild werden. Diejenigen, die das betreiben, handeln aus der Opferrolle, auch wenn sie längst zu Tätern geworden sind. Sie schaffen die ideologische Voraussetzung dafür, dass Soldat*innen auf Menschen schießen, als seien es bloße Pappkameraden. Niemand soll es merken, weil die Schützen die Opfer und die Menschen in Gaza die Täter sind. Und alle, die sich nicht dieser Logik unterwerfen wollen, werden automatisch zu Antisemiten, also zu Tätern, gemacht.

In Israel selbst werden kollektive Bestrafungen gegen Palästinenserinnen und Palästinenser bereits seit längerem vollzogen: Menschen, die im besetzten Westjordanland Terroranschläge verüben, werden nicht nur verhaftet oder erschossen. Oft werden danach auch die Häuser ihrer Familien zerstört.

Im November letzten Jahres hat dann die Knesset ein Gesetz beschlossen, das kollektive Bestrafungen systematisiert. Hanoch Dov Milwidsky, ein Abgeordneter der Likud-Partei, erklärte, was das Gesetz ermöglichen soll: „Wenn es einen Terroristen gibt, der einen Anschlag verübt hat, und wenn nach Einschätzung des Innenministers bewiesen ist, dass seine Familie die Absicht kannte und nichts unternahm, um ihn davon abzuhalten und ihn stattdessen noch dazu motiviert hat, wird diese Familie nicht hierbleiben dürfen. Sie wird in das Gebiet des Gazastreifens oder an einen anderen Ort, der vom Innenminister bestimmt wird, für einen Zeitraum zwischen sieben und 15 Jahren vertrieben werden.“

Palästinensische Israelis können so auf Anweisung des Innenministers über Jahre abgeschoben werden, ohne dass es dafür eine rechtsstaatliche Grundlage gibt.

Michael Sfard, ein israelischer Menschenrechtsanwalt und Enkel polnischer Holocaust-Überlebender, hat gesagt, dass damit die in Teilen rechtsextreme Mehrheit im Parlament Israel als demokratischen Rechtsstaat abwickele.

Und, so möchte ich hinzufügen, sie schafft ein Klima, in dem Menschen zu Zielscheiben werden.

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