In der letzten Woche habe ich auf LinkedIn mit Populisten diskutiert — das war wie Schattenboxen. Ich habe mich danach gefragt, wie Urteile entstehen.
Beispiel Wetter: Ich habe den Verdacht, dass es heute regnen wird. Der Grund: Der Himmel ist grau. Um mich zu vergewissern, lese ich den Wetterbericht. Nachdem ich das gemacht habe, kann ich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es heute regnen wird.
Was habe ich gemacht? Um zu einer Einschätzung über das heutige Wetter zu gelangen, habe ich meine Erfahrungen mit Vorhersagen in Verbindung gebracht, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.
Was aber, wenn Meteorologen ihre Erkenntnisse „instrumentalisieren“, wie es vor drei Tagen Klaus Gagel von der A*D im Hessischen Landtag unterstellte und dann in Hinblick auf den Klimawandel sagte, dass es Wetterextreme „schon immer gegeben habe.“ Die Klimahysterie schade nur unserem Wohlstand.
Worauf stützt sich sein Urteil? So, wie ich graue Wolken mit Regenwahrscheinlichkeit assoziiere, bringt er sein Wissen über das Klima in einen Zusammenhang mit der Erfahrung, dass es Perioden gibt, wo es viel regnet und andere, wo häufig die Sonne scheint. War doch schon immer so! Er ist aber offenbar nicht in der Lage, seine Erfahrungen in einen theoretischen Zusammenhang einzuordnen. Dafür müsste er sich wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Klimawandel bedienen.
Wissenschaft ist mehr als eine Meinung, die auf subjektiven Erfahrungen beruht. Aus diesem Grund unterscheidet das Grundgesetz normativ zwischen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, also zwischen dem wissenschaftlichem Diskurs und sonstiger Kommunikation.
Wissenschaft ist Erkenntnisgewinn und laut Bundesverfassungsgericht das, “was nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist“. Die Instrumentalisierung von Wissenschaft für politische Zwecke ist dagegen ein Charakterzug totalitärer Ordnungen. Rund 37 % der Weltbevölkerung lebt unter Bedingungen, unter denen die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt ist. Deutschland belegt in Sachen Wissenschaftsfreiheit die Spitze. Das Schlusslicht ist Nordkorea.
Populisten behaupten, die Wissenschaft würde in den Dienst einer Elite gestellt, um damit Macht auszuüben. Sie verschieben damit den Diskurs über die Ursachen des Klimawandels vom wissenschaftlichen in den politischen Raum. Ihre Aussagen sind nicht anfechtbar, weil sie immun sind gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. Populisten sind überzeugt, alles zu wissen, sind aber nicht in der Lage auf das Zustandekommen ihres Wissens zu reflektieren. Sie versuchen gar nicht erst sich im wissenschaftlichen Diskurs Gehör zu verschaffen.
Mit den Worten des amerikanischen Künstlers James Turrell könnte man ihnen nur das wünschen: „I want you to sense yourself sensing. To see yourself seeing. To be aware of how you are forming the reality you see“.