An den Schulen in Thüringen soll es wieder „Kopfnoten“ geben.
Als ich 1962 in die Schule kam, gab es die noch: Noten für das Verhalten in der Schule und für die Beteiligung am Unterricht. Diese Noten hatten sogar eine physische Komponente: Wer sich schlecht benahm, musste in der Ecke stehen und wer seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte, wurde über die Bank gelegt und verdroschen.
Meine „Kopfnoten“ ließen immer mehr zu wünschen übrig. Irgendwann bin ich einfach von der Schule geflogen.
Hinter den Kopfnoten steht ein reaktionäres Menschenbild und ein auf den sog. „Nürnberger Trichter“ des 17. Jahrhunderts zurückgehendes Verständnis von Bildung: Wissensvermittlung wurde als „Eintrichtern“ von vorhandenen Wissensbeständen verstanden — etwa so, als seien Schüler große Säcke, in die man Wissen einfüllen kann, das hinterher genauso wieder herauskommt.
Dass sich daran etwas geändert hat, ist demokratischen und reformpädagogischen Bewegungen zu verdanken, die Erziehung und Lernen nicht hierarchisch begreifen, sondern als einen aktiven und selbstbestimmten Prozess der bildenden Erfahrung. Oder anders ausgedrückt: Lernen verstehen sie nicht als Aneignung, sondern als Verwandlung von Stoff.
Das gilt selbst für „buchstäbliches Wissen“. Das braucht nämlich jemanden, der es „aufschließt“, um es verfügbar zu machen. Und dieses Aufschließen ist ein produktiver Vorgang, durch den das Wissen zu einer Erkenntnis („ich weiß etwas“), einer Kompetenz („ich kann etwas“) und einer Handlung („ich tue etwas“) führen kann. Wer etwas weiß, kann oder tut, kennt daher nicht nur einen Sachverhalt, sondern ist in der Lage, sich auf eine bestimmte Art und Weise auf die Welt zu beziehen: Er gestaltet Wissen.
Wenn jetzt in Thüringen wieder sogenannte Kopfnoten eingeführt werden sollen, ist das ein Paradigmenwechsel: Lernen wird zu einem Akt der Unterordnung und Disziplin erklärt und ist nicht mehr Akt der Selbstbestimmung. In allen Klassenstufen sollen daher künftig „Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung in den Zeugnissen verpflichtend“ bewertet werden.
Das Konzept dahinter heißt „Fördern und Fordern“. Ich finde, das klingt nach „Zuckerbrot und Peitsche“.
Erziehung zur Mündigkeit ist etwas Anderes. Adorno hatte einmal in einem Radio-Gespräch formuliert: „Mündig ist der, der für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet; der nicht bevormundet wird. Das erweist sich aber in der Kraft zum Widerstand gegen vorgegebene Meinungen.“
Diesen Widerstand haben Schüler in Thüringen gezeigt. In Weimar, Jena, Erfurt und anderen Städten gingen sie nach der Veröffentlichung des Entwurfs über die „Kopfnoten“ mit Plakaten auf die Straße, auf denen stand: „Ich will lernen, keine Noten jagen“ oder „Kopfnoten? Erst mal Kopf einschalten“.
Genau so!