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Peter Sinapius

“singulär plural sein”: Über das Schwimmen gegen den Strom.

Ich weiß nicht, ob ich mich mit diesem Post beliebt mache. Das ist mir egal.

Von rechts kommt als Reaktion auf den Wahlausgang: Haben wir es nicht gleich gesagt? Die Grünen können es nicht! Jetzt haben sie die Quittung bekommen. Sie übertreiben es mit der Energiewende, ruinieren die Wirtschaft und in der Migrationspolitik „treten sie als Bremser auf“. Sie sollten ihre politische Agenda überdenken!

Was für eine seltsame Logik: Wenn ich für das Grundrecht auf Asyl bin und eine Mehrheit ist dagegen, dann gebe ich mich geschlagen? Wenn ich für ein Tempolimit auf der Autobahn bin, die Mehrheit aber gerne ungebremst über die Autobahn brettert, dann ändere ich meine Meinung?

Soll ich mir die rechten Mehrheiten zu Herzen nehmen, mir ihre Narrative aneignen um mit in ihrem Strom zu schwimmen? Soll das die Quintessenz der Aufarbeitung der Wahlergebnisse sein:

Klimawandel: halb so schlimm!
Flüchtlinge: ganz schlimm!
Bürgergeld: überfüssig!

Ist das andere jetzt abgewählt: eine klimagerechte Energiepolitik, das Asylrecht, soziale Gerechtigkeit?

Mit einem unvergleichlichen Bashing hat man die Grünen zum Sündenbock gemacht. Und jetzt sollen sie auch noch über den Stock springen, der ihnen hingehalten wird? Damit sie im Mainstream schwimmen?

Die Strommetapher ist gar nicht so übel, um zu verstehen, was hier gespielt wird. Wer sich im Strom treiben lässt, braucht sich keine Gedanken über das Wasser zu machen, das ihn trägt. Wer aber gegen den Strom schwimmt, so hat Hans Blumenberg einmal gesagt, „verschmäht den Genuss der Übereinstimmung mit dem Medium, in dem er sich bewegt, die getragene Leichtigkeit des Seins, das Vorankommen in der Richtung, die die Billigung aller Mittreibenden hat“.

Wenn der Strom einen homogenen Volkswillen repräsentiert, dann ist er das, was die Rechtsextremisten unter „Leitkultur“ verstehen: „Wir“ sind das Volk und wo wir sind, herrscht der „gesunde“ Menschenverstand!

Einen homogenen Volkswillen kann es aber nur unter den Bedingungen einer Diktatur geben. Es gibt, um es mit Jean-Luc Nancy zu sagen, den einzigartigen Menschen, den Singular, nicht ohne den Plural, also die Summe aller Menschen, von denen er sich abhebt. Deswegen ist die Bedingung für Autonomie und Freiheit eine vielfältige und pluralistische Kultur. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Einzelne ein Bild von der Wirklichkeit machen und selbstbestimmt Urteile fällen kann.

Dafür braucht es eine Streitkultur.

Und das ist genau genommen nichts anderes als: Demokratie.

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