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Peter Sinapius

Was wir nicht ergriffen haben, werden wir nicht begreifen können.

Ich weiß nicht, ob Höcke dumm, Chrupalla unterbelichtet oder Weidel einfältig ist, auch wenn dafür Einiges spricht. Jenseits des Reflexes, sie so zu qualifizieren, stehen sie für ein Programm der Selbstüberhöhung und Diskriminierung. Sobald die Rechtsextremen allerdings selbst ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, kehren sie den Spieß um und inszenieren sich als Opfer von Diskriminierung und Unterdrückung.

Ihre Rhetorik ist ebenso hermetisch, wie ihre Qualifizierung als dumm, unterbelichtet oder einfältig. Die Auseinandersetzung mit ihnen verhält sich dann so, als würde ich Tennis an der Ballwand spielen: Ich kommuniziere mit einer Wand, die das zurückgibt, was ich ihr zuvor zugemutet habe. Diese Wand statten die Rechtsextremisten mit Attributen aus, die nicht in der erfahrbaren Wirklichkeit ihren Ursprung haben, sondern in einer diskriminierenden Ideologie. Aus Ausländern machen sie eine Bedrohung, aus Demokraten werden Vertreter einer „korrupten Elite“, aus Europa wird eine Bedrohung der nationalen Integrität.

Wer diese Rhetorik lediglich als dumm oder einfältig qualifiziert, errichtet umgekehrt eine Wand, die sie mit ihren Stereotypen bespielen können. Wenn ich allerdings verstehen will, was sie wirklich vorhaben, muss ich jenseits ihrer Stereotypen einen Standpunkt finden. Den finde ich da, wo ich mich zu Anderen und zu meiner Wirklichkeit in eine Beziehung bringe. Das geht nur unter den Bedingungen des Respekts und der wechselseitigen Anerkennung. Wer außerhalb davon agiert, mit dem rede ich nicht.


Es ist das wechselseitige Er- und Begreifen, das es ermöglicht, etwas zu verstehen: Was wir nicht ergreifen, werden wir nicht begreifen können. Das machen uns unsere Hände vor: Wir greifen und begreifen mit unseren Händen.

Unsere Hände sind komplizierter als alle anderen menschlichen Gliedmaßen aufgebaut. Eine Hand hat 27 Knochen, 33 Muskeln und 22 Achsen, um die sie sich bewegt. In jeder Handfläche liegen 17 000 Fühlkörperchen, die Druck-, Bewegungs- oder Vibrationsreize aufnehmen — das sind rund 140 pro Quadratzentimeter. Hinter jedem Händedruck liegt damit ein anatomisch höchst komplexes Gebilde, ein Ausdrucks- und Erkenntnisinstrument.

Wenn ich einem andere Menschen die Hand reiche, ist das nicht nur ein Begrüßungsritual, sondern auch eine Geste, durch die ich Anderes erfahren kann: So wie ich etwas berühre, so werde ich berührt. Darin liegt ein wechselseitiges Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden. Ohne dass wir dazu in der Lage wären, könnten wir kein Bewusstsein über uns selbst und unseren Standort in der Welt erlangen.

Weder das Er- noch das Begreifen sind stabile Zustände. Erst in dem Augenblick, in dem wir jemanden oder etwas berühren, können wir etwas über die Welt in Erfahrung bringen.

Das aber ist kein Spiel an der Ballwand, die nur das zurückgibt, was wir ihr zuvor zugemutet haben.

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