„Arbeit ist doch nicht eine mehr oder weniger unangenehme Unterbrechung unserer Freizeit,“ lautet ein immer wiederkehrendes Mantram von Friedrich Merz. Immer wenn ich es höre, denke ich mir: Das ist aber jetzt eine unangenehme Unterbrechung meines Verstandes.
Im Ernst: Hinter den anhaltenden Appellen von Merz und Linnemann, die Deutschen sollten doch bitte mehr arbeiten, steckt eine Verwertungslogik, die sich alle Bereiche der Gesellschaft unterwerfen will. Egal ob es arbeitsfähige Menschen, alleinerziehende Mütter oder Väter, Rentner oder Kranke sind: Was zählt ist Leistung.
Der Soziologe Hartmut Rosa hat das als „Steigerungszwang“ in einer sogenannten Modernethese formuliert. Sie lautet:
„Moderne Gesellschaften sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich nur dynamisch zu stabilisieren vermögen, das heißt, dass sie fortwährend auf Wachstum, Beschleunigung und Innovationsverdichtung angewiesen sind, um ihre Struktur bzw. den Status Quo zu erhalten. Dieser Steigerungszwang hat Folgen für die Lebensweise, die Lebensorientierung und die Lebenserfahrung der Subjekte.“
Dieser These hat er eine andere These entgegengesetzt, die auf resonanzfähige Beziehungen der Menschen zu ihrer Umgebung zielt und zu ganz anderen politischen Prioritäten führen würde. Sie lautet:
„Gelingende Weltbeziehungen sind solche, in denen die Welt den handelnden Subjekten als ein antwortendes, atmendes, tragendes, in manchen Momenten sogar wohlwollendes, entgegenkommendes oder ›gütiges Resonanzsystem‹ erscheint.“
Wer diesem Gedanken folgt, stellt sich andere Fragen. Statt das ganze Leben einer ökonomischen Logik unterwerfen zu wollen, würde er sich fragen, wie die Bedingungen gestaltet werden müssen, unter denen alle Menschen ein menschenwürdiges Leben führen können, egal ob es arbeitende Menschen, alleinerziehende Mütter oder Väter, Rentner, Kranke oder Pflegebedürftige sind.
Dann könnte man sich fragen, wie wir gesunde Lebensbedingungen herstellen und dem menschengemachten Klimawandel begegnen können, wie wir soziale Gerechtigkeit erreichen und bezahlbaren Wohnraum garantieren können, wie wir unabhängig von unserer Herkunft, unserer Religion oder Nationalität friedlich zusammenleben und unserer kulturellen Vielfalt gerecht werden können.
Wir leben doch nicht für steigende Aktienkurse. Wir brauchen eine Welt, die jedem Mensch ein zu Hause sein kann.
Dafür zu arbeiten, würde sich lohnen.
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