Normative Normalität


Wenn ich an bestimmte Politiker denke, denke ich immer an „Mord mit Aussicht“!

Nein! An die Krimi-Serie.

Warum ich dabei an Politiker denke? Naja, wenn ich Dietmar wäre, würde ich sagen: „Endlich sagt’s mal jemand!“

Wer wissen will, wie traditionelle Rollenklischees und Diskriminierung zusammenhängen, sollte sich eine alte Folge aus dieser Fernsehserie ansehen. Die spielt in Hengasch. Und was in Hengasch passiert, das ist „normal“.

Was ist das, was „normal“ ist? Normal ist, wenn morgens die Sonne aufgeht. Das ist überall auf der Welt so. Normal ist aber auch, dass man sich zur Begrüßung die Hand gibt oder die Frauen das Essen machen. Das ist nicht überall so. Das ist aber in Hengasch so und das nennt man dann die „normative Normalität“.

Hengasch gibt es gar nicht. Aber es repräsentiert so etwas wie die „Normalität“ in einem x-beliebigen deutschen Dorf. Ein Ort, an dem die Welt noch in Ordnung ist. Die Sachen, die nicht in diese Ordnung passen, werden als Bedrohung empfunden, tot geschwiegen oder einfach unter den Teppich gekehrt.

Die Figuren in Hengasch, die das verkörpern, sind mir irgendwie vertraut.

Da ist Dietmar: Veränderungen mag der nicht. Dann wird ja alles anders!

Oder seine Frau Heike mit der alles überdauernden Dauerwelle: Sie kümmert sich um die Verbreitung der Narrative, denen Hengasch seine Identität verdankt.

Dann kommt eine „emanzipierte“ Polizistin und übernimmt die Leitung der kleinen Polizeidienststelle. Und mit einem mal kommt Unordnung in das kleine Hengasch. Das geschlossene Weltbild kriegt Risse. Und zwar immer dann, wenn ein Verbrechen passiert.

Die erzählte Geschichte ist so etwas wie das Soziogramm einer Gemeinschaft, die zusammengehalten wird durch einen „normativen Normalismus“. Was „normal“ ist, hat zunächst die Funktion einer Orientierungsnorm. Eine Norm, die einfach als gegeben vorausgesetzt werden kann. Was „normativ“ ist, hat dagegen die Funktion einer Erfüllungsnorm: so ist es und so sollte es sein. Ist es nicht so, wie es sein sollte, wird ein blinder Fleck daraus oder es entsteht Handlungsbedarf.

Die „Erfüllungsnorm“ wird innerhalb einer bestimmten Gruppe oder einem bestimmten Milieu, denen man qua Herkunft, Religion, Einkommen, Wohnort, Profession, Bildung, Habitus etc. zugehört, geregelt und ist ihren spezifischen strukturellen, ökonomischen oder kulturellen Bedingungen geschuldet. Menschen, Religionen oder Kulturen, die dieser Normalität nicht entsprechen, sind per se ausgeschlossen.

Was in Hengasch als „normal“ gilt, bestimmt ein anonymes „Wir“, das sich nicht zu erkennen gibt. Und an diesem Punkt setzen politische Akteure an, die sich berufen fühlen, dieses „Wir“ zu bedienen. Ein „Wir“ als kollektives Selbstverständnis, dem sich das Individuum unterzuordnen hat.

Das wird dann Politik genannt.

Dietmar, Bärbel und Heike werden gar nicht gefragt. Die Norm geht ihnen ja voraus.

Video: Folge 31: Klingelingeling

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