Man kann sich zu recht fragen, warum in Deutschland rechtsradikale Positionen wieder diskursfähig werden. Warum wir offenen Auges auf eine Klimakatastrophe zusteuern. Oder warum es in den USA keinen Aufstand gegen einen Präsidenten gibt, der die Demokratie abschafft…
Widerstand bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen. Für den Philosophen Hans Blumenberg war die Strommetapher in ihrer umgekehrten Bedeutung – als ein Schwimmen mit dem Strom – ein Kennzeichen der modernen Gesellschaften, „sich naturgemäß und sachgerecht zu verhalten“, um sich effektiv die Natur einzuverleiben und sie sich zu unterwerfen. Wer mit dem Strom schwimmt, wird eins mit dem Medium, in dem er sich bewegt. Er bewegt sich wie ein Fisch im Schwarm.
Wer sich mit dem Schwarm bewegt, verlässt sich auf eine Intelligenz, die er zusammen mit anderen zu entwickeln hat: die Schwarmintelligenz. Diese Schwarmintelligenz besitzen aber menschliche Gemeinschaften im Unterschied zu Fischen nicht. Deswegen braucht es in ihnen, wenn sie sich wie ein Schwarm bewegen wollen, Demagogie und Gefolgschaft oder Befehl und Gehorsam.
Was wir Schwarmintelligenz nennen, kann es nur geben, weil der einzelne Fisch im Schwarm keine individuelle Intelligenz ausbilden kann. Um eine individuelle Intelligenz ausbilden zu können, bräuchte der einzelne Fisch die Fähigkeit, von dem eigenen Verhalten und dem der anderen ein Bewusstsein zu erlangen.
Dazu aber müsste er in der Lage sein, zu dem Schwarm, d. h. zu seinem ihn umgebenden Lebensraum, eine Distanz herzustellen, aus der er ihn in Augenschein nehmen könnte. Dann könnte er von außen auf das blicken, was er nicht sehen kann, wenn er sich darin bewegt. Er bräuchte ein symbolisches Medium wie die Sprache, durch die er imstande ist, sich an einen Ort
außerhalb seiner unmittelbaren Lebenswelt zu begeben und sich ein Bild von ihr zu machen. Erst dadurch wird ein Individuum handlungsfähig.
Wer gegen den Strom schwimmt, „verschmäht den Genuss der Übereinstimmung mit dem Medium, in dem er sich bewegt, die getragene Leichtigkeit des Seins, das Vorankommen in der Richtung, die die Billigung aller Mittreibenden hat“, schreibt Hans Blumenberg. Gegen den Strom zu schwimmen, stört kollektive Bewegungen.
Anders als der einzelne Fisch, der sich in einem Schwarm bewegt, zeichnet sich der einzelne Mensch vor allem dadurch aus, dass er sich von den anderen Menschen unterscheidet. Er kann sich mit anderen Menschen nur verständigen, weil er von ihnen nicht nur verschieden, sondern in dieser Verschiedenheit auch einzigartig ist.
Menschliches Leben gründet deswegen, so Hannah Arendt, auf Pluralität: „Pluralität“, so schreibt sie, „ist eine Vielheit, die die paradoxe Eigenschaft hat, daß jedes ihrer Glieder in seiner Art einzigartig ist.“