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Peter Sinapius

85 Jahre “Entartete Kunst”: Schluss mit der “Scham- und Schuldkultur?”

In einem Antrag für den Bundestag vom 19.1.23 forderte die AfD eine Neuausrichtung der Kulturpolitik mit dem Ziel „die aktuelle Reduktion kultureller Identität auf eine Schuld- und Schamkultur durch positive Bezugspunkte kultureller Identität zu korrigieren, um die aktive Aneignung kultureller Traditionen und identitätsstiftender Werte wieder in den Vordergrund zu rücken.“

Kurz: Statt „Scham- und Schuldkultur“ soll es endlich wieder eine „deutsche Leitkultur“ geben! Und wer erstmal frei von Scham und Schuld ist, der stößt — wenn er sich in der deutschen Geschichte umsieht — auf eine „sittliche Staats- und Kulturidee“! Prima, denkt er sich! Wer hatte die nochmal entworfen? Ach, Adolf Hitler? Naja, wie heißt es 2016 im Wahlprogramm der AfD in Sachsen-Anhalt: „Eine einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte verstellt den Blick auf Jahrhunderte.“

Bestimmte Sachen kann man natürlich nicht mehr sagen: „Wider die Negerkultur — für deutsches Volkstum“. Das gaben die Nationalsozialisten 1930 als Losung aus. Heute heißt das: „Multi-Kultur ist Nicht-Kultur“ — so steht es im AfD-Programm unter einem Bild von einer Brezel und einem Dirndl.

Was bedeutet aber, ohne Scham und Schuld betrachtet, wenn der „Führer“ zur Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 gesagt hat: „Denn der Künstler schafft […] für das Volk! Und wir werden dafür Sorge tragen, daß gerade das Volk von jetzt ab wieder zum Richter über seine Kunst aufgerufen wird.“ Hans-Thomas Tillschneider, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt, weiß genau, was das heißt und macht sich zum Richter: „In Zukunft wird die AfD ganz genau auf die Programmatik der Bühnen schauen, Intendanten, die ein zu buntes Agitprop-Repertoire mit Regenbogen-Willkommens-Trallala auf die Bühne bringen, denen muss man die öffentlichen Subventionen komplett streichen. Wenn ein Theater nur solche Stücke spielt, […] dann werden wir natürlich sagen, dass das Ding zugemacht werden muss.“

Das hat er sich von den Nationalsozialisten abgeguckt: Um eine uniformierte Kunstauffassung durchzusetzen, wurde im Zuge der kulturellen „Gleichschaltung“ am 10.04.1935 vom Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste angeordnet, dass alle Kunstausstellungen der Genehmigung durch die Reichskammer der bildenden Künste unterliegen. Dann beseitigten die Nationalsozialisten Zug um Zug die Kunst der Moderne aus den öffentlichen Sammlungen. Vor 85 Jahren begann schließlich der Ausverkauf „entarteter Kunst“ ins Ausland um an Devisen zu gelngen. Wieviele Werke vernichtet wurden, ist nicht bekannt.

Diejenigen, die das AfD-Programm geschrieben haben, haben sich vielleicht gedacht: „Das ist 85 Jahre her. Muss doch auch mal gut sein mit der Scham- und Schuldkultur!“

NEIN! Ist es nicht! Weil ich mich noch schämen kann!

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