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Peter Sinapius

Das Medium ist die Botschaft

„Wir haben keine kleinste gemeinsame Wirklichkeit mehr“, behauptet die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim (YouTube). Ist das wirklich so? Welche Wirklichkeit ist gemeint? Ist die Wirklichkeit gemeint, die sich uns über sprachliche oder digitale Medien vermittelt?

Alles, was wir von der Wirklichkeit in Erfahrung bringen können, vermittelt sich medial. Wenn Licht als Medium etwas sichtbar und damit unserer Wahrnehmung zugänglich macht, fungiert es als Übertragungsmedium, durch das die Realität, die uns umgibt, in einer medienspezifischen Weise zur Erscheinung kommt und für uns wahrnehmbar wird.

Wenn jemand eine Geschichte erzählt, macht er nicht nur Wirklichkeit sichtbar, er nutzt sein Medium als Darstellungsmedium, um sie zu erzeugen. Deswegen eignet sich die Sprache dazu, etwas über die Welt, in der wir leben, zum Ausdruck bringen und sie zu verstehen. Sie macht, anders als das Licht, die Wirklichkeit nicht einfach sichtbar, sondern bringt eine mediale Wirklichkeit hervor, für die diejenigen die Verantwortung tragen, die sie erzeugen.

Scheinbar anders verhält es sich mit digitalen Medien, die nicht nur Sprache, sondern auch Bilder der Wirklichkeit übertragen können. Ihren Bildern wird die Fähigkeit zugesprochen, Wirklichkeit zur Erscheinung zu bringen. Was wir allerdings erfahren, erfahren wir unter den Bedingungen der körperlichen Abwesenheit. Was unsere Wirklichkeit ausmacht, ist das Internet oder der Bildschirm des Fernsehers.

Wenn davon die Rede davon ist, dass wir keine kleinste gemeinsame Wirklichkeit mehr haben, wird stillschweigend vorausgesetzt, dass diese Wirklichkeit von sprachlichen oder digitalen Medien erzeugt werden kann, die in der Lage versetzt werden sollen, die Wirklichkeit eins zu eins abzubilden. Es wird der kategoriale Sprung übersehen, der zwischen dem Medium und seiner Botschaft liegt.

„Das Medium ist die Botschaft“, hatte der kanadische Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan einmal überspitzt formuliert und damit ein Paradox zum Ausdruck gebracht, mit dem wir konfrontiert sind, wenn wir uns auf den symbolischen Gehalt der Sprache verlassen oder die ikonische Differenz von Bildern übersehen.

Medienkompetenz besteht darin, ein Bewusstsein für die Wirklichkeit zu gewinnen, die wir mit dem Gebrauch von Medien fortwährend schaffen. Ich finde es problematisch, wenn sich ein Autor hinter einer Information unsichtbar macht, als würde er nicht seine Perspektive der Wirklichkeit zur Darstellung bringen. Das ist dann die Geburtsstunde von Fake-News und das Ende des Diskurses.

Um es mit Hannah Arendt zu sagen: „Wer es unternimmt, zu sagen, was ist, kann nicht umhin, eine Geschichte zu erzählen, und in dieser Geschichte verlieren die Fakten bereits ihre ursprüngliche Beliebigkeit und erlangen eine Bedeutung, die menschlich sinnvoll ist.“

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