Blog

Peter Sinapius

Der Ententest

„ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST!“

Ich gehe in den Park. Der Himmel ist blau. Die Wolken machen Urlaub. Ab und zu zieht ein Flugzeug seine Bahnen am Himmel als nutze es die Gelegenheit, auf dem blank geputzten Himmel seine Streifen zu hinterlassen. Das gefällt mir und ich putze meine Gedanken blank. Ich sitze am Teich und schaue den Enten zu, die im Wasser paddeln als säßen sie in einem Schlauchboot.

Auf der Wasseroberfläche spiegeln sich der Himmel und die Kondensstreifen der Flugzeuge. Die Enten interessieren sich nicht für die Spiegelungen im Wasser und bringen sie in Unordnung. Ab und zu stecken sie ihren Kopf ins Wasser und begeben sich in die Vertikale, um sich irgendetwas aus dem Wasser zu fischen, das nur unter der Wasseroberfläche zu haben ist.

Genau genommen sehe ich keine Enten auf Schlauchbooten und kann auch nicht erkennen, wonach sie unter Wasser angeln. Sie sind lediglich die Verkörperung der Vorstellungen, die ich von Enten habe. In meinem Kopf spiegeln die Enten, die ich sehe, das Bild, das ich von ihnen habe. Und umgekehrt. Ich weiß, dass es Enten sind, weil ich weiß, wie sie aussehen.

Diese Verknüpfung von Vorstellung und Wirklichkeit ist als „Ententest“ in die Wissenschaftstheorie eingegangen: „Wenn ich einen Vogel sehe, der wie eine Ente geht und wie eine Ente schwimmt und wie eine Ente quakt, nenne ich diesen Vogel eine Ente.“

Was wir über die Wirklichkeit wissen, verdankt sich unserer Fähigkeit, etwas wahrzunehmen und unsere Wahrnehmungen sprachlich mit Vorstellungen von der Wirklichkeit zu verknüpfen. Was wir sehen hat eine Evidenz, wenn wir das, was wir sehen, nicht nur benennen können, sondern wenn es dafür auch objektive Maßstäbe gibt — gewissermaßen das, was wir messen und wiegen können.

Diese Evidenz ändert allerdings nichts an der Subjektivität unserer Wahrnehmungen. Was ich wahrnehme, lässt sich nicht messen oder wiegen. Ich sehe Enten und keine Wellenlängen des Lichts oder Molekülverbindungen. Was ich wahrnehme ist eingeschlossen in mein subjektives Bewusstsein. In der Philosophiegeschichte gilt das als das „Leib-Seele-Problem“ oder allgemein formuliert als die Frage nach der Beziehung zwischen Materie und Geist.

Wer den kategorialen Sprung zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit übersieht, kann die Welt für eine Scheibe, Corona für eine Verschwörung und Deutschland für eine Diktatur halten. Er hat eine Vorstellung von der Wirklichkeit, die der Wahrnehmung vorausgeht. Was er dann sieht, spiegelt seine Vorstellung.

Er blickt bis zum Horizont und sagt: „Die Welt ist eine Scheibe.“ Er übersieht dabei, dass seine Wahrnehmung nicht die Wirklichkeit ist.

Dieser Service wird von einem externen Anbieter bereitgestellt. Wenn Sie diesen Dienst nutzen möchten, erklären Sie sich mit der Datenverarbeitung durch den Anbieter follow.it einverstanden.
Zur Datenschutzerklärung