ÜBER “ANSTÄNDIGE DEUTSCHE”
Chrupalla weiß von nix. Hat Krah oder hat er nicht? Chrupalla weiß es nicht. Es gilt die Unschuldsvermutung. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat, sagt er. Einen kurzen Moment frage ich mich, was er unter „rechts“ versteht. Aber ich ahne, was er meint.
Chrupallla ist ein „anständiger Deutscher“. Wenn Krah mit frauenfeindlichen Sprüchen über das Ziel hinausschießt, sagt Chrupalla so etwas wie: „Der tut nix, der will doch nur spielen“.
Chrupalla inszeniert sich bodenständig und volksnah als „Familienvater, Handwerksmeister und Unternehmer aus Niederschlesien.“ Und dann sagt er: „Das beste an Deutschland sind seine Menschen. Wir lieben Ordnung, wir sind fleißig, wir sind ehrlich, vielleicht sogar etwas naiv.“
Naja, vielleicht würde das auch ein Markus Söder oder Friedrich Merz sagen. Was auf den ersten Blick so harmlos daher kommt, ist aber der Kit für die „Volksgemeinschaft“, von der die A*D träumt. Es ist das, was sie unter einer deutschen „Leitkultur“ und „Wertekonsens“ versteht, „der für unser Volk identätsbildend ist“. Und deswegen setzt sie sich in ihrem Programm allen Ernstes „gegen die Schmähung des Deutschen Kaiserreichs ein, das unzutreffend als rückständiger Unrechtsstaat diffamiert wird“.
Wovon hier die Rede ist, sind die preußischen Tugenden. Und da hat die A*D ein prominentes Vorbild. 1932 hat sich kein geringerer als Joseph Goebbels angeschickt, das Preußentum zu retten: „Wir stehen mit festen Füßen auf der großen preußischen Vergangenheit. Wir wollen es nicht zulassen, daß die Tradition unserer preußischen Geschichte endgültig verlorengeht. Wir wollen sie aus dem Schutt der Gegenwart herausheben und sie in eine bessere Zukunft hinüberretten.“ Könnte die AD so unterschreiben.
Als verbindliche Werte hinübergerettet wurden preußische Sekundärtugenden wie Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungsliebe, Höflichkeit oder Sauberkeit. Die Herstellung einer mit diesen Tugenden ausgestatteten uniformen Wertegemeinschaft stand allerdings in einem Widerspruch zu einer Gesellschaft von autonom und selbstbestimmt handelnden Menschen, die für ihre Handlungen Verantwortung übernehmen können.
Und warum war das so? Wer preußischen Tugenden folgt, muss blind bleiben gegenüber dem, was er tut. „Ich kann“, so formulierte es Carl Amery, „pünktlich zum Dienst im Pfarramt oder im Gestapokeller erscheinen; […] ich kann mir die Hände nach einem rechtschaffenen Arbeitstag im Kornfeld oder im KZ-Krematorium waschen.“
Deswegen konnte Adorno nach dem Ende des Nationalsozialismus über die Deutschen schreiben: „Ich habe, außer ein paar rührend marionettenhaften Schurken von altem Schrot und Korn, noch keinen Na*zi gesehen, und das keineswegs bloß in dem ironischen Sinne, dass keiner es gewesen sein will, sondern in dem weit unheimlicheren, dass sie glauben, es nicht gewesen zu sein.“