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Peter Sinapius

Ich mache mir ein Bild von Höcke.

Wenn ich Höcke auf einem Wahlplakat sehe, sehe ich einen Faschisten. Dem Foto selbst ist das nicht anzusehen. Ich sehe keinen Menschen mit Deportationsphantasien, sondern jemanden, der aussieht, als habe er seinen Kindern gerade eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen.

Wahrscheinlich die Geschichte von Max und Moritz. Ich stelle mir vor, wie Höcke klammheimliche Freude verspürt, als sie im Backofen verschwinden und schließlich geschrotet werden. Das ist doch nur ein deutsches Volksmärchen mit ein paar wohltemperierten Grausamkeiten, denkt sich Höcke. Und die gehören zu unserer deutschen Leitkultur! Noch einen Gute-Nacht-Kuss und der Abend kann ausklingen.

Höcke geht ins Wohnzimmer und sieht auf Tik-Tok seinem Freund Maximilian Krah zu, der den deutschen Jugendlichen gerade ins Gewissen redet. So wie der aussieht, kann der doch nichts Böses wollen! Er redet von Männlichkeit. Können doch nicht alle in rosa Klamotten rumlaufen! Goldig: er hat halt vorher nicht in den Spiegel geschaut. Hat selbst eine rosa Krawatte an.

Das Bild, das ich tatsächlich von Höcke oder Krah habe, ist ein anderes. Es verdankt sich nicht dem Konterfei auf Wahlplakaten. Ich folge ihrem Blick, mit dem sie die Welt imprägnieren wollen und werde konfrontiert mit einem rassistischem Menschenbild, das ausgestattet ist mit Stereotypen und Zuschreibungen. Sie selbst sind erschreckend normal. So normal, wie die Täter des NS-Regimes, die bruchlos ein Leben führen konnten, so hat es Harald Welzer einmal beschrieben, dass „die Erschießung von, sagen wir, 900 Männern, Frauen und Kindern ebenso enthält wie das Nachdenken darüber, welches Studienfach denn wohl für den eigenen Sohn das geeignete wäre“.

Wenn ich mir ein Bild mache, folge ich nicht fertigen Konstruktionen wie: „Die Migranten sind…“, „Unsere Kultur ist…“, „Männer sind…“. Das sind lediglich Stereotypen, die dem Sehen vorausgehen. Wer das nicht erkennt, fällt darauf rein, was Höcke und Krah sagen. Er merkt nicht, dass sie die Welt nur zur Projektionsfläche machen für ihre Überlegenheitsphantasien. Er merkt nicht, dass sie das Skript sind für einen Film, der an ihm vorbeizieht. Die Welt antwortet ihm nicht mehr.

Für den, der sich selber ein Bild machen will, ist Sehen kein passiver Akt, durch den die Wirklichkeit ungefiltert in sein Bewusstsein tritt. Wie wir auf die Welt blicken und was wir dabei in Erfahrung bringen, ist unserer Perspektive geschuldet. Das mit Stereotypen ausgestattete Konterfei, das mir auf einem Wahlkampfplakat entgegenlächelt, kontaminiert meinen Blick.

Damit aber gerät die Evidenz des Sichtbaren, die man gerne dem Sehen zusprechen will, ins Wanken. Wir sollten uns vorsehen vor Bildern, die fertige Antworten geben. Wir sollten nicht so tun, als seien Fotos die fertige Wirklichkeit. Wir sollten aber auch nicht den Anspruch verfolgen, „wahre“ Bilder zu produzieren.

Bilder sind Ansichten von der Wirklichkeit.

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