Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
Ich liebe dieses Gedicht von Hilde Domin.
Warum?
Weil es eine Form der Zuwendung beschreibt, ohne die soziales Leben nicht denkbar ist. Dazu gehören ein Wort, ein Satz, ein Gedanke oder auch nur ein Schweigen, von denen ich mich beeindrucken oder berühren lasse. Denn darin erfüllt sich ein wirkliches Gespräch: Ich kann nicht wissen, wohin es führt. Ich muss interessiert sein an dem, was mein Gegenüber zu sagen hat.
Wer sich dagegen die soziale Welt unterwerfen und verfügbar machen will, muss eine Diktatur errichten. Wenn alle im Gleichschritt marschieren, gibt es keine Spielräume mehr, in denen man sich miteinander bewegen kann.
Hartmut Rosa beschreibt das in seinem Buch „Unverfügbarkeit“ so:
„Lebendigkeit, Berührung und wirkliche Erfahrung […] entstehen aus der Begegnung mit dem Unverfügbaren. Eine Welt, die vollständig gewusst, geplant und beherrscht wäre, wäre eine tote Welt.“
Hilde Domain war jüdischer Herkunft und emigrierte im Juli 1932, nachdem die Nationalsozialisten die Reichstagswahl gewonnen hatten, nach Italien — ein „Exil auf Probe“. Nach Hitlers Rombesuch im Mai 1938 wurden jüdische Emigranten verhaftet und deportiert, so dass Hilde Domin gezwungen war nach Südengland zu gehen. Doch auch hier drohten Internierung und Auslieferung, so dass sie am 25. Juni 1940 in die Dominikanische Republik flüchtete, der sie ihren Künstlernamen „Domin“ entlieh. Der Diktator Trujillo, ein „furchterregender Lebensretter“, nahm die europäischen Emigranten auf, verbot und verfolgte aber jedes kritische Wort. Nach 22 Jahren Exil kehrte Hilde Domin 1954 nach Deutschland zurück. Am 22. Februar 2006 starb sie in Heidelberg im Alter von 96 Jahren.