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Peter Sinapius

Sprache

Es mag eine Strategie der Rechtsextremisten sein, in einer 180-Gradwendung jene Begriffe auf ihre Gegner zu projizieren, mit denen sich ihr eigenes Programm charakterisieren lässt: Diktatur, Ausschaltung der Opposition, Faschismus. In einer vornehmlich gegen die Grünen gerichteten parteiübergreifenden Kampagne findet sich ihre Polemik wieder in Vokabeln wie: Verbotspolitik, Ideologie oder Wahnsinn.

Der südafrikanische Künstler William Kentridge hat zu sprachlichen Bedeutungen gesagt: „Die Bedeutung ist immer eine Konstruktion, eine Projektion, kein fertiges Bauwerk – etwas, was gemacht werden muss und nicht einfach gefunden wird. Es gibt immer eine drastische Inkohärenz und eine drastische Instabilität. Alle Gewissheiten können nur von einem Text, einer Drohung, einer Armee, einer Fatwa, einer Predigt zusammengehalten werden – sie halten jeweils die Fragmente mit eisernem Griff zusammen“.

Wenn man Kentridge folgt, wären Bedeutungen, die sprachlich verfasst sind, Provisorien. Wenn sich dagegen das Sprechen, so schreibt der Literaturwissenschaftler Herrmann, „als definitiv, final und abschließend präsentiert, so als könnte es das adressierte Subjekt abschließend fassen, droht sich die Gewalt der Sprache zu entfalten. […] So lange die Sprache im Fluss bleibt und der Dialog von Rede und Antwort noch möglich ist, kann die Gewalt der Sprache im Sprechen bewältigt werden“.

Wittgenstein hatte diese Vorläufigkeit der Sprache vor Augen, als er den inzwischen geflügelten Satz formulierte: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen“. Und Roland Barthes begriff die Sprache als Gewaltsystem, das den, der spricht, dazu zwingt, sich seinen Regeln zu unterwerfen: „Wir sehen die in der Sprache liegende Macht deshalb nicht, weil wir vergessen, daß jede Sprache eine Klassifikation darstellt und daß jede Klassifikation oppressiv ist: ordo bedeutet zugleich Aufteilung und Strafandrohung“. Daraus schließt er: „Die Sprache ist weder reaktionär noch progressiv; sie ist ganz einfach faschistisch; denn Faschismus heißt nicht am Sagen hindern, er heißt zum Sagen zwingen“.

Wer in diesem Sinne Sprache als soziale Konstruktion auffasst, kann ihrem apodiktischen Wirken kaum entgehen. Das von Barthes entworfene Bild ließe sich allerdings umkehren, wenn man den Menschen nicht zum Werkzeug der Sprache macht, sondern ihn als denjenigen begreift, der sich die Sprache zum Werkzeug machen kann.

Dann hat er die Wahl, sich einem Sprachgebrauch zu unterwerfen, der totalitäre Ordnungen hervorbringt oder einem Sprachgebrauch, der sie unterminiert und ihnen Widerstand entgegensetzt. „In Wahrheit nämlich steckt die Sprache nicht im Menschen, sondern der Mensch steht in der Sprache und redet aus ihr“, hat Martin Buber einmal gesagt und damit angedeutet, dass der Mensch sprachlich in der Lage ist, Wirklichkeiten zu erzeugen, die über die symbolische Bedeutung sprachlicher Begriffe und ihren grammatikalischen Regeln, in die sie eingebunden sind, hinausgehen.

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